Fauler Friede-Freude-Eierkuchen - über Trennung und Einheit

Artikel zum Umgang mit Weltschmerz geschrieben im Februar 2022.

Die Weltbühne kocht und ich auch. Vielleicht ganz anders als man denken mag, aber ich sitze mit hochrotem Kopf vor meinem Laptop und haue meine Gedanken in die Tasten. Abwägen durfte ich gerade zwischen Abendessen kochen oder aber diesen Beitrag schreiben und wie man siehst: ich schreibe. Ich schreibe, weil ich koche. Nur eben kein Abendessen. Mir gehen so viele Gedanken durch den Kopf und vor allem durch mein Herz. 

Ich werde mich in diesem Artikel nicht inhaltlich über die politische Lage äußern, denn dafür gibt es andere Menschen, die besser recherchiert haben und auf dem Laufenden sind. Positionieren werde ich mich dennoch! Ich weiß spätestens seit meinem Geschichtsstudium, dass man Recherche-Arbeit den Profis überlassen sollte - und dass man die echten Profis daran erkennt, dass sie ihre Arbeit niemals als den Heiligen Gral der einen Wahrheit vermarkten, sondern als das kennzeichnen, was sie ist: subjektiv. Egal wie objektiv ein Mensch versucht, Dinge darzustellen, Mensch bleibt Mensch und kann nur subjektiv recherchieren und Bericht erstattet. Der Mensch bleibt seiner Sozialisation, seinem Umfeld, seinen Genen, seiner Konditionierung immer bis zu einem gewissen Grad verhaftet und auch mit dem Reflexionsgrad eines weisen Gottes kann nicht sämtliche Prägung abgelegt werden. Wie sagte doch Buddha schon so schön: "Glaubt den Schriften nicht, glaubt den Lehrern nicht, glaubt auch mir nicht. Glaubt nur das, was ihr selbst sorgfältig geprüft (...) habt." 

Was ich damit sagen will, ist: Ich lese zur politischen Lage Berichte von Menschen, die sich auskennen und gleichzeitig kennzeichnen, dass das, was sie sagen nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Ich will hier keine Unterstellungen zur Berichterstattung loswerden, sondern auf einen anderen Punkt hinaus. Es gibt nämlich für mich einen erheblichen Unterschied dazwischen, eine Meinung respektive Haltung zu haben und diese auch als subjektive Meinung zu kennzeichnen (mag sie auch fragwürdig aus der Perspektive einer anderen Person sein) oder aber dem anderen Extrem, dem der Neutralität. Neutralität ist wie aus faulen Eiern gebackener Friede-Freude-Eierkuchen. Es ist nicht gesund, es schmeckt nicht und der vermeintliche Friedensbote stinkt die ganze Umgebung voll. 

Warum mir das so wichtig ist zu betonen? Nun, weil Neutralität und Objektivität die Hauptdarsteller der Seriosität des Patriarchats sind. Das Patriarchat hat so hervorragend wie kaum etwas anderes verstanden, dass Subjektivität getarnt als Objektivität oder besser noch als Neutralität eine effektive Waffe ist, um ein für alle Mal festzuhalten, dass der alte, weiße Mann am Ende immer Recht hat und nur das Beste für alle will. Oh bitte für uns, heilige Dreifaltigkeit der vermeintlichen Objektivität, Neutralität und Sachlichkeit. Und deshalb meinen jetzt auch alle zu wissen, was man zu tun hat, wenn ein machtbesessener Diktator seinen Pluto am MC entdeckt hat und an Wahnvorstellungen leidet, die dazu führen, dass Menschen sterben und leiden. 

Was mir zusätzlich zum erweiterten (Krieg herrscht seit 2014) Kriegsausbruch das Herz gebrochen hat, ist der Umgang, den man in einem westlichen Europa damit pflegt.. (Und ja, mir ist sehr bewusst, dass ich mich mit dieser Meta-Ebene nur beschäftigen kann, weil ich so privilegiert bin, dass ich nicht direkt physisch von diesem Krieg betroffen bin.) Wie oft habe ich gehört "An einem Tag wie heute, darfst du nicht das oder das tun...", wie oft ist der Zeigefinger erhoben worden, um zu bestimmen wie "man mit den Nachrichten umzugehen hat"? Was hat man in Deutschland nochmal zu tun? Ahja, richtig: man bleibt anständig... und dann kommt an vielen Stellen nach betroffen neutral. Weil wir es so gewöhnt sind. Schön in die scheinbare Objektivität flüchten, denn dann können weiterhin Diktatoren und andere Machthaber bestimmen, was genau objektiv ist und welche subjektiven Meinungen wir nicht brauchen. Dann können andere bestimmen, wann ich nicht mehr in Trauer versinken muss. Und damit ist alle Eigenverantwortung so herrlich abgegeben. 

Ich finde es ekelhaft wie viel Trennung auf der Welt gerade zusätzlich geschaffen wird dadurch, dass irgendein Jürgen weiß wie man zu reagieren hat, wenn "so ein Tag wie heute" ist. Ja, das Patriarchat hat uns gelehrt, dass wir unsere Emotionen immer schön dem Tagesgeschäft anpassen, dass wir funktionieren, eine vorbestimmte Zeit traurig sind und dann wieder so tun als sei nicht gerade die Welt am explodieren. Und genau da appelliere ich an die Eigenverantwortung der Menschen.

Die einen gehen ins Mitleid, die anderen bekommen Angst, die nächsten haben Coping-Mechanismen und wieder andere müssen in die Handlung kommen. Ich gehöre auch zu denen, die das Gefühl der Handlungsfähigkeit brauchen. Ich kann mich nicht im Mitleid suhlen, weil mein System das nicht aushält. Ich gehe ins Mitgefühl, bin kurz geschockt und danach ist die erste Frage für mich immer: Was kann ich tun? Und dann tue ich. Ich informiere mich, ich schaue mir ganz gezielt Nachrichten an, ich spende, ich tue, was ich tun kann, aber ich möchte mich diesem Weltschmerz nicht hingeben. Und das hat nichts mit Ignoranz oder Neutralität zu tun. Ich positioniere mich klar, ich habe eine Haltung gegen diesen Krieg, ich handle so gut ich handeln kann. 

Aber und das ist jetzt ein großes Aber: Ich diskutiere das nicht mit dir in meinen Instagram-Stories. Ich sehe auch nicht ein, meine Instagramstories aka meine Arbeit zu pausieren, denn auch nach "einem Tag wie heute" kommt ein nächster Tag, an dem der Krieg nicht vorbei ist, an dem immer noch Menschen leiden und sterben. Die Frage ist doch: Wie zur Hölle kommen wir zu Frieden und zur Einheit? Und exakt darin sehe ich meine Aufgabe. Also ist es noch wichtiger denn je, dass ich und viele, viele andere Menschen ihre Arbeit tun. 

Dieser Friede und diese Einheit, die wir alle so herbeisehnen, beginnt in jedem Menschen - und das wird jetzt kein Eso-Geschwurbel, um sich der Verantwortung zu entziehen. Wie meine Freundin Alexandra so passend schrieb: "Peace is an inside job." PERIOD. Diese Einheit verletzt du jedes Mal, wenn du dem Menschen neben dir, den subjektiven Umgang mit "einem Tag wie diesem" nicht "erlaubst". Es heißt dann: "Du darfst heute in deiner Instagram-Story nicht fröhlich sein, es ist Krieg." - "Das kannst du nicht posten an einem Tag wie heute." Und was genau mache ich dann morgen, Waltraud? 

Ich gehe los, tue meine Arbeit, schaue mir an, was ich im Kleinen dazu beitrage, dass Krieg in dieser Welt herrscht. Ich trage Liebe nach außen, versuche an der Frequenzerhöhung der Welt mitzuwirken und Menschen in ihre Eigenverantwortung zu bringen. Aber meine wichtigste Aufgabe ist es: Menschen in ihrer Subjektivität anzuerkennen und sie nicht für jede Verhaltensweise außerhalb der patriarchalen Norm-Etikette zu verurteilen. 

Und damit wir uns richtig verstehen: Ich rede hier explizit nicht von Menschen, die bewusst so tun als sei nichts passiert und als ginge uns das alles nichts an. Das sind die Menschen mit dem stinkenden Friede-Freude-Eierkuchen der Neutralität. Ich spreche von Menschen, die vielleicht in ihrer Story nichts zur Ukraine posten, aber sich offline damit befassen. Du weißt doch nie, wie ein anderer Mensch Dinge verarbeitet. Wir alle wissen nicht, warum eine Person vielleicht nichts postet. Vielleicht hat sie selbst in der Kindheit Krieg erlebt, vielleicht retraumatisiert es sie schwer. Vielleicht hat diese Person gelernt, dass es sicherer ist, sich bei sowas zurückzuziehen, für sich zu trauern oder ihre Gefühle im Tanzen auszudrücken. 

Und jetzt kommt Waltraud um die Eck und sagt dieser Person, dass sie "an einem Tag wie diesem" so nicht sein darf. Und wer bestimmt das nochmal? Ahja, das Patriarchat bestimmt wie ich zu sein habe und was sich gehört. 

Ich habe mir genau das anhören dürfen. Dass ich Trennung dadurch schaffe, dass ich weiter über meine Arbeit poste und handlungsfähig bleibe und nicht im Mitleid versinke. Und es hat mich erst sprachlos und dann wütend gemacht. So unfassbar wütend. Ich habe mich gefragt, ob es stimmt, ob ich dadurch Trennung schaffe, dass ich eben nicht wie viele andere gerade emotional mitleide. Ob irgendwas mit mir nicht stimmt. Bis ich gecheckt habe, was da eigentlich gerade passiert ist. 

Und hier kommen wir zum Kern meiner Botschaft: Nicht Subjektivität, sondern vermeintliche Objektivität schafft Trennung. Das Manual des Patriarchats schreibt vor, dass wir nicht subjektiv mit Situationen umgehen dürfen, sondern, dass wir alle so sein sollten wie man eben "an einem Tag wie diesem" ist. Betroffen, überfordert, zwei Tage irgendwie aktiv und dann still......... Solange wir nicht lernen, andere Menschen in ihrem Umgang genau so sein zu lassen wie sie sind, werden wir im Kleinen die Kriege erleben, die wir dann auf der Weltbühne sehen. Und ja, der Diktator ist ein Arschloch, aber es steckt mehr hinter einem Krieg und wir dürfen uns alle mal fragen, welche Kriege im Inneren, welche Nicht-Positionierungen und welche fehlende Eigenverantwortung die Welt in diese Lage gebracht haben.